Im Steinkohlenwald: pp. 31-36

Es ist also seither auch nur noch in einigen lokalen Einzelfällen Streit gewesen, ob nicht doch ganz gelegentlich Kohlebildung durch Seetange als Ausnahme stattgehabt haben könnte; für die echte Masse der Steinkohlen war die Frage erledigt.

 In neuester Zeit ist man durch Forschungen, besonders von Engler und Potonie, wohl auch darauf aufmerksam geworden, daß gewisse allerniedrigste Algen noch tief unter der Stufe des Tangs in Salz – und Süßwasser schon in Urweltstagen allerdings eine große Rolle gespielt und äußerst wichtige Rückstände für unsere Kultur hinterlassen zu haben scheinen.  Jeder Freund unserer märkischen Seen kennt die sogenannte „Wasserblüte“, ein jähes Auftreten unfaßbar riesiger Scharen grüner Ur-Algen, die die Oberfläche und Uferränder ganzer Gewässer mit einem trüben Schleim färben.  Solcher Algenschlamm führt verfaulend nachweislich zu eigentümlichen Fettbildungen, und es liegt die wohlbegründete Vermutung vor, daß aus solchem Algenfett in Verbindung mit im Wasser verwesenden Tierleibern sich ein für uns sehr wichtiger Stoff endlich entwickle und seit Urweltstagen entwickelt habe, nämlich das Petroleum.  Zur Bildung von echter Kohle aber scheint es gerade bei diesem Verwesungs – und Verfettungsprozeß im allgemeinen nicht zu kommen, so daß auch von dieser Seite einer Steinkohlen-Theorie mit Algen-Grundlage keine ernsthafte Hilfe erwachsen würde.

Die mikroskopische Entdeckung führte aber nicht bloß zur negativen Abwehr einer falschen Theorie, sondern sie gewährte weit darüber hinaus ein großes positives Resultat.

Konnte man doch jetzt endlich mit gutem Recht jene bisher problematischen Begleitfunde, jene deutlichen Pflanzenreste in den anliegenden Gesteinschichten, als wirkliche Musterproben dessen benutzen, was, wenn auch für das bloße Auge zur Unkenntlichkeit entstellt, dennoch auch die Hauptmasse der Steinkohle selbst bildete.  Dank der großen Mühe, die unsere Industrie sich mit allem, was Steinkohle betraf, gab, hatte sich auch dieses Material seit Buffons Tagen ganz gewaltig vermehrt, es füllte ganze Museumssäle an und war von Sachkennern längst mit größer Liebe untersucht, beschrieben und abgebildet worden.  Wälder von einer höchst eigentümlichen Beschaffenheit waren dabei vor den Augen der Botaniker aufgetaucht, ganz gewiß wert, mit ebensoviel Eifer studiert und rekonstruiert zu werden wie die Gerippe der alten Mammute, Megatherien und Riesensaurier, die seit Cuviers Zeiten alle Lehrbücher und geologischen Bilderbücher füllten.

 (Top P. 32), Hatte man diese Wälder längst zur Steinkohlen - Periode gerechnet, so war jetzt entschieden, daß es die eigentlichen Steinkohlenwälder selbst waren.  Jahrmillionen mußten sie in unerhörter Üppigkeit gegrünt haben, einer ganzen Zeit mußten sie das Gepräge gegeben haben.

 Zum erstenmal stand man mit diesen Wäldern zum Teil baumförmiger Kryptogamen für so frühe Tage der Erdgeschicht vor einer unzweifelhaften  Landflora.

Die ältere Geologie hatte auch da, wo sie schon “sintflutfrei” war, doch noch stets an eine erste Epoche allgemeiner Wasserbedeckung auf der frisch abgekühlten Erdkugel gedacht; erst nach geraumer Zeit sollten sich die ersten Inseln aus diesem wirklich erdumfließenden Ur-Okeanos erhoben haben. Als sich gerade aus den ältesten noch unveränderten Sedimentgesteinen durchweg nur Reste von Muscheln, Seelilien, Krebsen und anderen ausgesprochenen Wassertieren zeigen wollten, erschien das nur als eine Bestätigung dieser ursprünglichen Idee.

Von tiefer denkenden Geologen war inzwischen aber mit vollem Recht darauf hingewiesen worden, daß eben diese Meeresniederschläge schon der ältesten Zeiten, einst als Schlamm abgelagert und dann zum Gestein der kambrischen, silurischen und devonischen Perioden unserer Tabelle verhärtet, durchaus gleich den späteren bereits aus verwitterten, abgenagten Gesteinstrümmern beständen, von denen man nur annehmen könne, daß sie eben damals wie heute schon wogenbespülten Küsten, Flußläufen, verwitternden Gebirgen – kurz, also Land, von den Wassern des Ozeans abgenommen seien.  Und in der Tat liegt gar kein wirklicher Grund vor, an solcher Existenz von Land auch für die denkbar ältesten Lebenszeiten zu zweifeln.

Bott. P32; (P. 33). Die Mächte, die heute Land schaffen, Gebirgsbildung, Vulkanismus, Niveauänderungen des Meeres, Korallenbau und Verwandtes passen durchaus auch in den Rahmen schon des ältesten geologischen Altertums, -- ja, es fragt sich höchstens, ob sie nicht damals viel lebhafter waren als heute.  Gewaltige Korallenriffe kennen wir bereits aus der Silur - Periode, die deutlichsten Kontinentanzeichen gehen bis ins Kambrium; die Devon – Zeit war voll von Vulkaneruptionen, die Steinkohlenzeit selbst war bei uns in Europa eine der stärksten Perioden großer Gebirgsbildung in der ganzen Erdgeschichte.  Wenn sich aus jenen älteren Tagen trotzdem fast nur Reste der Meerestierwelt erhalten haben, so zeigt das eben bloß die Lücken- haftigkeit unserer Überlieferung an; im allgemeinen haben Lebensreste in Meeresablagerungen immer mehr Chance gehabt, sich zu erhalten, als Spuren des Landlebens.

Für die Steinkohlenzeit sah man aber jetzt zum erstenmal deutlich über die blaue See hinweg auf ein geheimnisvolles Land : das Land, wo diese Pflanzen der Steinkohle wirklich lebendig gegrünt hatten.

Wo hatte dieses Land damals aber gelegen?

Land und Meergrenzen von heute geben da keinen Maßstab her, dafür ist diese Welt zu entlegen. Wenn man hört, daß in der Urwelt, selbst viel später noch, einmal Afrika und Südamerika wahrscheinlich einen zusammen – hängenden Kontinent gebildet haben und noch später ebenso Europa und Nordamerika, wenn man sich erinnert, daß in der Juraperiode die Ichthyosaurier in Schwaben im Meer schwammen und in der Kreidezeit die Norddeutsche Ebene Ozeanboden war, so wird man da keine Karte von heute zu Rate ziehen wollen.  

Die Steinkohlenflöze selbst sind im heutigen Europa, Nordamerika und Asien enorm.  Jährlich werden mehr als dreivierteltausend Millionen Tonnen Steinkohle für die Industrie gewonnen.  Der noch vorhandene Kohlenbestand wird allein für die Vereinigten Staaten auf fast siebenhundert Milliarden Tonnen berechnet.  Die kolossalen Kohlenfelder Chinas sind dabei noch so gut wie gar nicht in rechter Benutzung und auch noch nicht genau abgeschätzt; sie sind die größten der Erde.

 Bott. P.33 (P.34).  Solche Massen eines Stoffs, dessen Adern nur in einer beschränkten Dicke das Gestein ihrer Periode durchziehen, müssen natürlich räumlich weite Flächen einnehmen.  Ein einziges jener nordamerikanischen Kohlenfelder, das appalachische, füllt ein abbauwürdiges Gesamtfeld von 2400 geogr. Quadratmeilen, das einheitlich geschlossene Pittsburger Flöz wird auf 900 solcher Quadratmeilen geschätzt.

Nach jener Schwemmtheorie wären das aber bloß die Stau – und Absatzstellen im Meer, wo das verfrachtete Landholz deponiert worden wäre.  Man müßte sich im Verhältnis dazu erst darüber hinaus die ungeheuren Strommündungen suchen, durch deren Tore diese Fracht ins Meer kam, den Lauf dieser Flüsse von mehr als Mississippi – oder Amazonas – Größe und von da landeinwärts erst das eigentliche Waldgebiet selbst.

Vor dieser Forderung aber erlahmt nun doch etwas der Blick : der Erdraum droht zu eng zu werden.  Die Kohlenfelder sind selber so riesig, daß man gerade auf die Rechnung käme, wenn man in ihnen selbst die Waldareale von damals sehen könnte, während die Perspektive im Unfaßbaren versinkt, wenn das alles erst noch einmal doppelt vorhanden sein soll. 

Hier schob sich aber alsbald noch eine Überlegung ein.

In der Nähe der Steinkohlenadern zeigten sich nicht bloß Abdrücke von Farnblättern.  Es zeigten sich auch Tierreste : heuschreckenartige Insekten, Skorpione, Spinnen, Tausendfüße, lungenatmende Schnecken, -- Reste von Tieren, die unmöglich im Meer gelebt haben konnten. Sie mußten also mit- geschwemmt sein vom Ufer gleich den Farnwedeln selbst.  Aber es fehlten dafür die Reste echter Meertiere.  Warum hatten sie sich nicht ebensogut und noch viel eher hinzugefunden?

Wohl zeigten sich aus der gesamten Steinkohlen – Periode Schichten, die von Meergetier strotzten, in Menge, aber gerade sie hatten mit den eigentlichen Flözen und ihrer engeren Begleitung nie etwas zu tun, wo sie je einmal in ihre Nähe traten, war es stets, als griffen solche Gesteine mit Meerbewohnern wie etwas Fremdes über die Steinkohlenlagen nur gelegentlich einmal fort oder lägen aus einer andern Zeit in der Periode darunter, genau so, wie wenn ein Gebiet ehemals bewohnter Meeresboden war, dann aber nicht mehr, oder wenn es zeitweise vom Meere wieder überflutet wurde, etwa in einer Uferzone.  Hatte es zweierlei Meer damals gegeben : eines ganz ohne eigenes Tierleben, in dem sich bloß von fernher verfrachtet die Kohlenflöze und Begleitschichten ablagerten – und ein zweites, in dem die Meertierwelt so üppig blühte wie sonst – und hatte das zweite zwar bisweilen mit dem ersten an einzelnen Orten den Platz gewechselt, sich aber gleichzeitig nie mit ihm vermischt?

(Middle of P. 35). Wunderliche Sachlage, die keinerlei Deutung aus sonst bekannten Verhältnissen zuließ.


Querschnitt durch  Gesteinschichten  der Steinkohlenzeit mit aufrecht  versteinerten  Baumstämmen.

Aber noch eine wunderlichere Tatsache heischte Erklärung.  Schon dem alten Buffon hatte man nicht bloß von einzelnen Pflanzenblättern berichtet, die in den Tonschiefern neben den Kohlenadern vorkämen, sondern von ganzen versteinerten Baumstämmen.

In der Tat waren solche Stämme seither vielfältig gefunden worden, und gerade sie hatten zu dem Bilde wirklicher großer Urwälder von damals geführt.  Daß es Stämme von farnartigen Gewächsen sein sollten, gab kein Hemmnis.  Ist auch uns hier im Norden das Farnkraut wirklich nur ein „Kraut“, so braucht man bloß die Tropen zu besuchen (oder bei uns das Gewächshaus eines botanischen Gartens), um dem „Farnbaum“, dem „Baumfarn“ auch heute noch in herrlichster Entfaltung zu begegnen. (Top P.36).  Für die Schlepptheorie hatte so ein Stamm von damals auch an sich weiter kein Hindernis. Wo an der Grenze der eigentlichen, ganz zermahlenen Kohlen Schwemmschicht in der mehr sandigen Schlammbank ein zartes Fiederblatt oder der Flügel einer Heuschrecke, die einst darauf gesessen, sich erhalten hatte : warum da nicht auch ein ganzer mitgestrudelter Baumstamm?  Aber diese Stämme erlaubten sich doch noch etwas höchst Ärgerliches, das entschieden gar nicht im Sinne der Theorie war.

Sie steckten nämlich vielfältig nicht wie ein braves Stück Treibholz, das die Welle nach langem Herumwirbeln endlich im Grundschlamm begräbt, horizontal oder doch ganz regellos nach allen Lagen und Richtungen hingeschmiegt im Gestein, sondern sie gefielen sich immer wiederkehrend in einer ganz bestimmten Situation, die offenkundig auf ein geheimes Gesetz deutete, -- aber sicherlich kein Gesetz des regellos begrabenen Treibholzes.

 Bergleute in englischen Kohlenbergwerken erlebten wiederholt folgende fatale Situation.  Sie hatten einen horizontalen Stollen eingetrieben, der in der Ebene der fortschreitend abgebauten Steinkohlenader selbst lag.  Plötzlich stürzte ganz unmotiviert aus der Decke dieses Schachts, also der ursprünglich auf der Ader selbst hängenden Gesteinschicht, ein großer Steinzylinder mit verheerender Wucht nieder.  Eine Nachforschung ergab, daß dieser Zylinder lose in der Steinmasse oben gesteckt hatte, abgetrennt von der Umgebung durch eine Hülle mürber Kohle.  Im Moment, wo die Unterlage durch den Schacht selbst abgebaut war, fiel er einfach, der Schwere folgend, in den Schacht hinein.

 Es konnte kein Zweifel sein, daß man es mit der versteinerten Füllung eines hohlen Baumstammes zu tun hatte, dessen Rinde die trennende Kohlenhülle darstellte.

 Dieser Baum mußte dann aber senkrecht zu der Kohlenader unten gestanden haben, deren Ebene der Schacht selbst ja entsprach.